Jannine Sutter

BETTAGSMANDAT 2023

Danke-, Buss- und Bettags GD (Foto: Volker Houba)

Menschliche Werte und künstliche Intelligenz
STAATSKANZLEI Regierungskommunikation
Liebe Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Aargau
Der Regierungsrat und die Landeskirchen des Kantons Aargau geben jedes Jahr zum Eidgenössischen
Bettag abwechselnd einen Aufruf an die Aargauer Bevölkerung heraus. In diesem Jahr hat der
Aargauer Regierungsrat den Text des Bettagsmandats verfasst.
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Es gibt historische Ereignisse und Entwicklungen, welche die Welt grundlegend verändert und die
Menschheit in ein neues Zeitalter geführt haben: zum Beispiel die Erfindung des Rades, des Buchdrucks,
der Elektrizität oder des Computers. Teilt man die Einschätzung von Trendexpertinnen und
Trendexperten, steht die Menschheit wieder einmal vor einer solchen Zäsur, vor einer solchen Zeitenwende.
Diesmal geht es um zwei Buchstaben: KI, die Abkürzung für Künstliche Intelligenz. Im Internet
und in den Medien erregte in den letzten Monaten vor allem der Chatbot GPT grosse Aufmerksamkeit.
Es handelt sich um ein KI-Computerprogramm, mit dem die Nutzerinnen und Nutzer sich
wie mit einem echten Menschen unterhalten und austauschen können.
Hinter GPT beziehungsweise KI stecken Abermilliarden global gespeicherter Informationen, die in
Millisekunden abgerufen und – je nach Belieben – zu einer Konversation, einem Text,
einem Lied, einem Gedicht, einem Antrag, einer Andacht, einer Diplomarbeit usw. aggregiert werden
können. Teilweise in erstaunlicher Perfektion und Einfühlsamkeit, als stecke ein menschliches Gehirn
beziehungsweise Gemüt dahinter; teilweise mit riesigen Lücken, groben Fehlern und gravierenden
Fehlinformationen behaftet.
Trotz dieser Schwächen ist aufgrund der Erfahrungen mit früheren, ähnlich gelagerten Veränderungen
und Entwicklungen davon auszugehen, dass KI immer mehr in unsere Arbeitswelt und unser Privatleben,
aber auch in das Staatswesen, die Gerichtbarkeit und andere Bereiche des öffentlichen Lebens
einfliessen und einwirken wird. Wie rasch und umfassend, mit welchen positiven und negativen
Auswirkungen und Folgen dies geschehen, mit welchen Chancen und Risiken dies verbunden sein
wird, ist noch nicht absehbar.
Deshalb ist es sehr wichtig, sich nicht nur mit technischen, wissenschaftlichen, organisatorischen,
prozessualen oder rechtlichen Fragen rund um KI zu beschäftigen, sondern sich frühzeitig auch mit
ethisch-moralischen und humanistischen Aspekten auseinanderzusetzen. Es gibt dazu viele offenen
Fragen und Ungewissheiten zu diskutieren und zu klären. Zum Beispiel welchen Platz, welchen Stellenwert
Werte wie Verantwortung, Mitgefühl, Anteilnahme, Barmherzigkeit, Zivilcourage, Rücksichtnahme,
Demut, Freiheit usw. in den "schönen, neuen KI-Welten" haben werden – ob es künftig eine
Unterscheidung zwischen menschlicher und maschineller Menschlichkeit geben wird, ob die zur Gewissensbildung
wichtigen Abwägungen zwischen Intelligenz und Vernunft einerseits und Emotionalität
und Empathie andererseits auch KI-mässig funktionieren.
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Künstliche Intelligenz und Digitalisierung werden zweifellos der Menschheit viele gute Dienste leisten können: Zum Beispiel in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Arbeitswelt, im Verkehr, bei der Bewältigung von Umweltthemen und vielem mehr. Es darf jedoch nicht passieren, dass die Beantwortung, die Entscheidung von ethisch heiklen Fragen und Themen vollständig an eine Maschine, an künstliche Intelligenz delegiert wird. Vor allem dann nicht, wenn es um Fragen und Themen von ho-her Tragweite für den einzelnen Menschen oder die ganze Gesellschaft geht, wenn bei Entscheidungen Werte wie Gerechtigkeit, Respekt, Solidarität oder soziale Verantwortung eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel in der Schule, bei Gerichtsurteilen, beim Kosten-Nutzen-Verhältnis medizinischer Eingriffe, bei Stellenbewerbungen, bei sozialpolitischen Fragestellungen und vielen anderen Themen mehr.
Der heutige Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag ist als offizieller, überkonfessioneller Feiertag eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie Landeskirchen und weitere religiöse Institutionen gemeinsam mit Staat und Politik einen Wertekompass für den Umgang der Gesellschaft mit Künstlicher Intelligenz entwickeln, Antworten auf die vielen offenen KI-Fragen im ethischen Bereich finden können. Gerade die kirchlichen Institutionen haben hier viel zu bieten und einzubringen. Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag ist aber auch eine gute Gelegenheit, um den Wert der wahren, der real gelebten Werte zu würdigen – wie sie zum Beispiel in der gemeinsamen Besinnung, in der gemeinschaftlichen Feier eines Bettag-Gottesdienstes zum Ausdruck kommen.
Regierungsrat Aargau
Bereitgestellt: 13.09.2023      
aktualisiert mit kirchenweb.ch